Entschlüsselung neuer Mechanismen des Leberkrebses

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Leberkrebszellen (l.) welche von gutartigen Leberzellen umgeben werden (r). Die Grenze zwischen Leberkrebs und angrenzendem Lebergewebe ist durch eine gestrichelte weiße Linie dargestellt. Das Gewebe wurde für den Lockstoff NPY angefärbt (grün) sowie für den NPY-Rezeptor/“Antenne“ (rot). Man erkennt, dass NPY vor allem von den Leberzellen, welche direkt um den Tumor herum sitzen, gebildet wird, während die NPY-Antenne ausschließlich auf der Oberfläche der Krebszellen vorkommt (Bild:Peter Dietrich)

Walter-Siegenthaler-Gesellschaft zeichnet FAU-Forscher aus

Leberkrebs ist eine äußerst bösartige Tumorart, an der jährlich circa 800.000 Menschen weltweit sterben. Alleine in Deutschland erkranken pro Jahr 9.000 Menschen neu an Leberkrebs. Er gehört damit zu den häufigsten Krebstodesursachen. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der FAU und des Universitätsklinikums Erlangen (UKER) hat einen Mechanismus entschlüsselt, bei dem Leberkrebszellen für Ihr bösartiges Wachstum einen Stoff ausnutzen, der von gutartigen Leberzellen gebildet wird.

Für diese grundlegende Arbeit zeichnet die Walter-Siegenthaler-Gesellschafft für Fortschritte in der Inneren Medizin den Leiter der Studie, Dr. Peter Dietrich, Medizinische Klinik 1, Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie des UKER sowie Lehrstuhl für Biochemie und Molekulare Medizin der FAU, mit dem Wissenschaftspreis 2020 aus. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte das Forschungsteam im Journal of Clinical Investigation.

Leberkrebs entsteht meist in einer „vorgeschädigten“ Leber, einer sogenannten Leberzirrhose. Diese entwickelt sich zum Beispiel nach jahrelangem schwerem Alkoholkonsum oder einer chronischen Virushepatitis. Einem interdisziplinären Forschungsteam der FAU und des UKER ist es nun gelungen, einen Mechanismus aufzudecken, der entscheidend zu den bösartigen Eigenschaften von Leberkrebszellen beiträgt. Dabei ist das kurzkettige Eiweißmolekül Neuropeptid Y (NPY) entscheidend, welches normalerweise in Nervenfasern gebildet wird und das Nervensystem mit verschiedenen Organen und dem Immunsystem verbindet. NPY ist beispielsweise an der Appetitregulation sowie der Regulierung von Immunantworten bei Entzündungen beteiligt.

Eine Antenne für NPY

NPY wirkt auf verschiedene Zelltypen über Rezeptoren, die wie Antennen auf der Zelloberfläche sitzen und Signale in das Innere der Zellen weiterleiten. Die aktuelle Studie zeigt auf, dass eine sehr hohe Menge solcher „Rezeptor-Antennen“ für NPY auf der Oberfläche von Leberkrebszellen vorhanden ist. Wenn NPY an die Rezeptoren bindet, werden diese aktiviert und dies kann dann zu beschleunigtem Wachstum der Krebszellen sowie zur Metastasierung führen. Eine Hemmung der „NPY-Antennen“ mit speziellen Medikamenten konnte im Tiermodell bereits stark das Wachstum von Lebertumoren bremsen.

Ein Lockstoff für Leberkrebszellen

Leberkrebszellen selbst bilden jedoch kein NPY, sondern nur die gutartigen Leberzellen, die den Tumor umgeben. Durch bösartiges Krebswachstum bilden sich Entzündungsstoffe, welche die normalen Leberzellen dazu anregen, große Mengen an NPY zu produzieren. Dadurch, dass NPY außerhalb vom Tumor gebildet wird, die Tumorzellen aber viele Antennen für NPY besitzen, wirkt NPY wie ein Lockstoff, welcher die Wanderung von Krebszellen in die Umgebung auslöst und somit zur Metastasierung beitragen kann.

Diabetesmittel könnte Leberkrebswachstum aufhalten

Das Forschungsteam konnte zeigen, dass ein besonderes Eiweißmolekül, die sogenannte Dipeptidylpeptidase 4 (DPP4), die Leberkrebszellen ebenfalls in erhöhtem Maße bilden, sogar zu einer noch stärkeren Aktivierung der NPY-Antennen führt. Da Hemmstoffe, sogenannte Gliptine, gegen DPP4 bereits bei Diabetes eingesetzt werden, ließen sich diese einsetzen, um die Aktivierung der NPY-Antennen auf den Krebszellen abzuschwächen. In Zukunft könnten Medikamente eingesetzt werden, um dieses Verhalten der Leberkrebszellen vielversprechend zu verhindern.

Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin

Das Ziel der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin ist es, klinische und wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Inneren Medizin zu fördern. Von der Gesellschaft wird alle zwei Jahre die „Walter-Siegenthaler-Medaille in Silber“ für grundlegende wissenschaftliche Arbeiten über aktuelle Themen der Inneren Medizin verliehen. In diesem Jahr würdigt das Preiskomitee die Arbeit des Erlanger Forscherteams und zeichnet Dr. Peter Dietrich mit der renommierten Walter-Siegenthaler-Medaille in Silber aus. Aufgrund der Corona-Pandemie wird die feierliche Übergabe der Medaille und des Preisgeldes an Herrn Dietrich im Rahmen eines Symposiums der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft 2021 erfolgen.

Weitere Informationen

DOI: 10.1172/JCI131919

Dr. Peter Dietrich
Medizinische Klinik 1, Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie
peter.dietrich@uk-erlangen.de

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