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Bild: Ingmar Hentz

Prof. Lie über die Gehirnentwicklung und Nervenkrankheiten bei Erwachsenen

Wie hängt die Gehirnentwicklung mit dem Auftreten von Krankheiten im Erwachsenenalter, wie Depression, Schizophrenie, Parkinson und weiteren Nervenerkrankungen, zusammen? Mit dieser Frage beschäftigen sich an der FAU mehr als 20 Nachwuchswissenschaftler in einem Graduiertenkolleg (GK) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Von 19. bis 21. September veranstaltet das GK das Symposium „Neurodevelopment and Vulnerability of the Central Nervous System”, zu dem hochkarätige Forscher aus aller Welt nach Erlangen kommen. Wir haben mit Prof. Dr. Dieter Chichung Lie, Sprecher des GK, über das noch junge Forschungsfeld und die Arbeit der Doktoranden gesprochen.

Auf welche Weise steht die embryonale Gehirnentwicklung mit späteren Erkrankungen des Gehirns in Verbindung?

Während der embryonalen Gehirnentwicklung werden Nervenzellen und Gliazellen – sie unterstützen die Nervenzellen bei ihren Aufgaben – gebildet, die sich wiederum zu funktionellen Netzwerken verbinden. Diese Netzwerke sind die Grundlage von Lernen, Gedächtnis, Verhalten, Emotion und Bewegung, um nur einige Funktionen zu nennen. Entsprechend können Störungen der embryonalen Gehirnentwicklung zum Beispiel zu geistigen und motorischen Behinderungen führen, die schon im Kindesalter offensichtlich werden. Befunde der vergangenen Jahre deuten jedoch darauf hin, dass Störungen von Entwicklungsmechanismen auch eine Rolle in der Entstehung von Erkrankungen des Erwachsenenalters spielen könnten. So haben beispielsweise manche bekannte Erkrankungsgene oder Risikogene für die Schizophrenie oder den Morbus Parkinson bereits eine Funktion in der Gehirnentwicklung. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht kleine Fehler in der Entwicklung die Verletzlichkeit des Gehirn für Erkrankungen im Erwachsenenalter festlegen und diese Erkrankungen dann zutage treten, wenn weitere Faktoren wie Alterung hinzukommen. Ein weiterer Punkt ist, dass einige Entwicklungsfaktoren und -mechanismen im erwachsenen Gehirn aktiv sind und Plastizitäts- und Reparaturprozesse unterstützen. Hier ist die Vorstellung, dass kontinuierliche Fehler in diesen Prozessen nach vielen Jahren zum Auftreten von Krankheitssymptomen führen.

Das GK 2162 „Entwicklung und Vulnerabilität des Zentralnervensystems“ beschäftigt sich mit diesem Forschungsgebiet. Welche Schwerpunkte setzen Sie an der FAU?

Wir beschäftigen uns insbesondere mit der Aufgabe, die genaue entwicklungsbiologische Funktion von Erkrankungsgenen für neuropsychiatrische und neurodegenerative Erkrankungen zu entschlüsseln und der Frage, wie Mutationen in Entwicklungsgenen die Anfälligkeit des Zentralnervensystems für Erkrankungen, wie Multiple Sklerose und Morbus Parkinson, erhöhen. Wir nutzen neben klassischen Modellen auch modernste Methoden der Stammzelltechnologie in Kombination mit sogenannten Genscheren, die uns erlauben, die Auswirkungen von Genmutationen auf die Entwicklung und Funktion von menschlichen Nerven und Gliazellen in der Zellkultur nachzustellen. Dass wir hierzu die Möglichkeit haben, ist nicht zuletzt das Ergebnis des bayerischen Forschungsverbundes ForIPS, der in den vergangenen Jahren diese wegweisenden Technologien am Standort Erlangen etabliert hat.

Was ist das Besondere an dem Kolleg?

Zum einen der Ausbildungsaspekt für die kommende Generation Neurowissenschaftler. Das Forschungsgebiet ist noch sehr jung, und die Wissenschaftler kommen in ihrem Studium nur wenig in Kontakt mit diesem Feld. Im GK 2162 forschen sie nicht nur in diesem sich rasch entwickelnden Forschungsgebiet, sondern werden durch Seminare, Vorlesungen und Expertenvorträge mit den neuesten Erkenntnissen konfrontiert. Zum anderen ist die Interdisziplinarität des GK hervorzuheben: Im Kolleg forschen Grundlagenwissenschaftler aus der Biologie, Biochemie, Anatomie und Physiologie mit Humangenetikern, Neurologen und Psychiatern gemeinsam an einer übergeordneten Fragestellung. Diese Kombination bereichert die Forschungsprojekte und führt dazu, Fragestellungen aus den verschiedensten Blickwinkeln zu beleuchten. Diese Verzahnung von Grundlagenwissenschaften und Klinik zeigt sich auch am 19. September, an dem die Eröffnung des Symposiums nahtlos an das Festsymposium „10 Jahre Molekulare Neurologie“ anschließt, und Zuhörer einen Einblick in grundlagenwissenschaftliche und klinische Forschung erhalten.

Das Symposium ist kostenfrei zugänglich, die Vorträge finden auf Englisch statt.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Dieter Chichung Lie

Institut für Biochemie